„Silent Spring“ – Stummer Frühling

Bereits in den frühen Siebziger Jahren beschrieb Rachel Carson in Ihrem gleichnamigen Buch ein Phänomen, das heute noch aktueller ist als derzeit: den Schwund der Vögel, damals verursacht durch die großflächige Anwendung von Pestiziden (Pflanzenschutzmitteln) wie DDT.

Schon immer sind wir Menschen von Vögeln fasziniert. Die in jedem Garten anzutreffenden Singvögel stellen etwa die Hälfte aller heimischen Vogelarten. Doch diese „gefiederten Freunde“ sind gefährdet. Seit 1980 hat die Zahl der Vögel in den Staaten der Europäischen Union um 56 Prozent abgenommen. Die Zahl der Singvögel hat sich in den letzten 30 Jahren um 420 Millionen vermindert. Arten, die man früher als Allerweltsarten bezeichnet hat, wie Star, Feldlerche oder Goldammer nehmen in ihren Beständen dramatisch ab. Gab es 1990 noch 6,1 Millionen Staren-Paare, waren es 2015 nur noch halb so viele Selbst der Haussperling, genannt „Spatz“, macht sich rar. Sein Bestand ging seit 1990 von 12,7 Millionen um bis zu 60 Prozent zurück. Kiebitze, Uferschnepfen oder Rebhühner sind flächendeckend zu Raritäten geworden oder regional ausgestorben (European Bird Census Council).

Hungrige Schwalbenkücken

Schalben sterben durch zunehmenenden Pestizid-Einsatz in Afrika (Quelle: Foto von kleinmoni59 auf Pixabay)

Laut 2019 veröffentlichtem Bericht der Bundesregierung zur Lage der „Vögel in Deutschland“ verzeichnet ein Drittel aller 305 deutschen Brutvögel rückläufige Zahlen. 52 Prozent der heimischen Singvögel steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten oder der Vorwarnstufe.

Die Top 10 der Vogelarten mit den prozentual stärksten Rückgängen in Deutschland (Zeitraum 1980 bis 2016) sind: Kiebitz -93%, Rebhuhn -91%, Turteltaube -89%, Alpenstrandläufer -84%, Bekassine -82%, Steinschmätzer -80%, Brachpieper -79%, Wiesenpieper -79%, Uferschnepfe -78%, Feldschwirl -75%

Das Verschwinden der Singvögel ist eine Tatsache

Die Singvögel sind ein Indikator für den Zustand unserer Umwelt. Das Verschwinden der Singvögel ist eine Tatsache und die Ursachen dafür sind vielfältiger Natur: Die industrielle Landwirtschaft mit ihren Pflanzenschutzmitteln und den ausgeräumten Landschaften, Lichtsmog, der Klimawandel, die Jagd, neue Feinde wie der Waschbär oder auch Hauskatzen – all dies Faktoren, die zum Vogelsterben beitragen können.

Besonders auffällig wird der Schwund, wenn eine Krankheit fast eine ganze Vogelart dahinrafft. Ab 2011 und besonders stark 2018 wütete das Usutu-Virus unter den Amseln. Pro Jahr verendeten bis zu 160.000 Tiere. Bundesweit gelten Grünfinken seit 2013 als besonders gefährdet. Ein Parasitenbefall halbierte zwischenzeitlich ihren Bestand. Aktuell bedroht eine Bakterienepidemie die Blaumeise. Für diese einstige Waldvogelart, heute gerne in der Nähe der Menschen, in Gärten zu Hause, sieht es in manchen Regionen schlecht aus, wie die jüngste Winterzählung des Naturschutzbundes Nabu ergab.

Es ist aber nicht das Immunsystem einzelner Vogelarten geschwächt, sondern vielmehr ist das globale Ökosystem aus den Fugen geraten. Der Nabu zählte während seiner diesjährigen Winter-Aktion im Schnitt 34,5 Vögel pro Garten und damit 12 Prozent weniger als im langjährigen Mittel der Zählungen. Einer der Gründe für den allgemeinen Rückgang sind die milden Winter: Bei Plus-Temperaturen bleiben Vögel aus dem hohen Norden fern, die ansonsten hierzulande die kalte Jahreszeit verbringen.

Eine Amsel im winterlichen Gestüpp

Singvögel wie Amseln sind ein Indikator für unsere Umwelt (Quelle: Foto von manfredrichter auf Pixabay)

Die Klimaerwärmung macht sich laut Nabu seit 2011 bei den Singvögeln bemerkbar. Arten, die ein eher kühles Klima brauchen, nehmen ab. Arten, die ein wärmeres Klima bevorzugen, nehmen zu. Ein typischer Klima-Gewinner ist das eigentlich seltene Rotkehlchen. Flog früher immer ein Teil der Population gen Süden, macht sich nun kaum noch ein Rotkehlchen auf den Weg. Fast alle bleiben hier und sichern sich so gleich schon auch die besten Brutplätze fürs Frühjahr.

Zugvögel, deren genetisches Programm die Reise nach Südeuropa oder Afrika vorgibt haben andere Probleme. Sie finden wegen zunehmender Trockenheit in ihren Überwinterungsgebieten immer weniger Wasser und Nahrung. Sie brauchen länger, um sich Futterreserven für den Rückweg anzufressen. Bei uns zurück, sind viele Nistplätze schon belegt und wiederum ein Großteil der Nahrung, zum Beispiel die begehrten Raupen, sind bereits verschwunden.

Kuckuck, Schwalben und Co.

Ein besonderer Pechvogel ist der Kuckuck. Denn der ist ja noch zusätzlich darauf angewiesen, sein Ei einem anderen Gelege unterzuschieben. Doch in niedrigen Lagen sind häufig schon alle Jungvögel ausgeflogen, bevor der Kuckuck sich nach einem passenden Nest umschaut. So wandert der Vogel in kühlere Mittelgebirge ab. Das wiederum ist Pech für alle, die den charakteristischen Kuckuck-Ruf nun nicht mehr als Frühlingsgruß hören.

Schwalben sind ein gutes Beispiel dafür, dass kurzsichtige Betrachtungen zu Fehlurteilen führen können. Lange glaubte man, den Schwalben würden Nistmöglichkeiten fehlen. Aber das scheint nicht der Grund für den auffallend hohen Rückgangs zu sein. Vielmehr könnte es am zunehmenden Pestizid-Einsatz in den afrikanischen Wintergebieten liegen. Während BASF und andere Chemiekonzerne umweltfreundlichere Mittel für Europa entwickeln, werden auf dem afrikanischen Markt weiter in Europa bereits verbotene Pestizide verkauft und angewendet. Insbesondere Insektizide können sehr toxisch für Vögel und andere Tiere sein, sorgen aber in jedem Fall dafür, den Vögeln die Nahrungsgrundlage zu entziehen.

Ein Rotkehlchen auf einem Ast

Rotkehlchen als Klimagewinner bleiben im Winter in Deutschland (Quelle: Foto von EvgeniT auf Pixabay)

Auch in hiesigen Breiten tobt ein erbitterter Streit zwischen Bauern und Naturschützern um die Lebensbedingungen für Vögel. Allgemein lässt sich sagen: Wo es nur noch Monokulturen gibt und alle Insekten totgespritzt werden, finden Vögel keine Nahrung. Die Zahl der Insekten hat in manchen Gebieten Deutschlands schon um bis zu 80% abgenommen und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Vogelwelt. Vögel wie Schwalben oder Mauersegler leben von Insekten. Für eine Vielzahl von Kleinvögeln in der Aufzuchtphase sind Insekten besonders wichtig. Von den 248 Vogelarten, die in Deutschland brüten, ernähren sich 80 Prozent von tierischer Kost, die Hälfte von ihnen bevorzugt Insekten. Viele Arten, die als Erwachsene etwas anderes fressen, füttern zumindest ihre Jungen mit den Kerbtieren. Wenn ein wichtiger Teil der Nahrungsgrundlage wegbricht, dann hat das extreme Auswirkungen auf alle Arten am Ende der Nahrungskette. Die Lobbyisten der Agrarindustrie haben ein massives Interesse daran, dass dies nicht zum Thema wird.

Wo Hecken, Feldraine und Brachflächen fehlen, können Vögel sich nicht aufhalten und nicht brüten. Dies wissen längst viele Bauern, die sich eine höhere Anerkennung für ihren Beitrag zum Umweltschutz wünschen. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um die im Vogelschutzbericht der Bundesregierung versprochene „nachhaltige Landnutzung“ zu verwirklichen. Seit 1980 hat sich die Zahl der Feldvögel um 34 Prozent verringert.

Eine weitere Gefahr stellt die Jagd in Ost- und Südeuropa sowie im Nahen Osten und Nordafrika dar. Diese kostet pro Jahr rund 100 Millionen Vögel das Leben. Zudem machen rund 8 Millionen Hauskatzen in deutschen Gärten gefiederte Beute. Laut Nabu erlegen „Stubentiger“, denen der Freigang erlaubt ist, je nach Schätzung zwischen 40 und 160 Millionen heimische Singvögel jährlich.

Blaumeisen auf einen Ast

Auch die Population der Blaumeisen ist immer mehr am Schwinden (Quelle: Foto von susannp4 auf Pixabay)

Rätsel geben aktuell noch andere Faktoren auf: wie groß ist der Einfluss des Lichtsmogs über Großstädten, der nachts ziehende Schwärme in die Irre leitet? Werden Wolkenkratzer noch viel mehr Vögeln zum Verhängnis als den bislang angenommenen 115 Millionen durch Vogelschlag getöte Tiere pro Jahr?